Fallsupervision: vertiefend verstehen – entwicklungsfördernd handeln                                     

Kurzfassung

Fallsupervision leistet für therapeutisch, pflegend, betreuend oder pädagogisch Handelnde (Einzel oder Team) einen wichtigen Beitrag zum vertiefenden Verständnis komplexer Interaktionsdynamiken von Patienten/Betreuten und Teams in   Organisationen  im Kontext von Behandlung oder sozialtherapeutischer Betreuung .

Damit leistet sie  einen Beitrag, kontra-therapeutische Aufträge und für alle Beteiligten belastende Interaktionen zu erfassen, zu vermeiden, in die professionelle Beziehungsgestaltung zu integrieren und Lösungsprozesse für Patienten und Betreute, Mitarbeitende, Team und nicht zuletzt für ein therapeutisch wirksames Milieu in der Station oder Wohngruppe anzubahnen.

 

 

Fallsupervisionen werden überwiegend von Personen oder  Teams angefragt, die  therapeutisch, pflegend, betreuend oder rehabilitativ mit Patienten, Klienten, Rehabilitanden oder auch Bewohnern arbeiten. Störungen im Behandlungsprozess, in den Klient-Mitarbeiter-Beziehungen, aber auch  Arbeitsstörungen der Teammitglieder untereinander sind häufig Thema der Fallsupervision.  Für psychiatrische Handlungsfelder können dies stagnierende Behandlungs-/Betreuungsverläufe oder auch Probleme im Umgang mit sog. „Systemsprengern“ sein.  Für ambulante oder stationäre Einrichtungen für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen sind psychische Erkrankungen i.S. einer Doppeldiagnose oder   herausforderndes Verhalten als Ausdruck einer Verhaltensstörung  von Betreuten, eine mitunter extreme Belastung für Teams.

Mitarbeiter*innen sind heute fachlich so gut ausgebildet wie nie zuvor. Dennoch machen sie die -manchmal leidvolle- Erfahrung, dass eine Vielzahl von Gründen sie daran hindern, ihre volle fachliche Kompetenz in die alltägliche Praxis umzusetzen. Im Supervisionsprozess wird berufliches Handeln reflektiert, in seinem emotional-rationalen Zusammenhang betrachtet und für die Praxis weiterentwickelt.

Alle Aktivitäten und Maßnahmen der Behandlung, Betreuung, Pflege und rehabilitativen Begleitung haben einen psychodynamischen und systemischen Aspekt, der bei der Unterstützung hinsichtlich der Störungsbewältigung besonders deutlich hervortritt.  Vielfältige Aspekte  beschädigender Entwicklungserfahrungen inszenieren sich in  der handlungsbezogenen und interaktionellen  Auseinandersetzung mit der jeweiligen sozialen Umwelt (Klinik,Wohnheim u.s.w.) und werden häufig erst mit einem verstehenden Zugang zur Psychodynamik und Interaktionsdynamik im Kontext der sozialen Umwelt  sichtbar. Lösungen und Entwicklungsförderungen erfordern ein situativ angemessen ausgerichtetes Handeln, welches sich vom jeweiligen Entwicklungsstand und vom Lebensziel der Patienten/Klienten leiten lässt.

Erfahrene Mitarbeiter*innen  wissen: die Wirksamkeit der Therapie/Betreuung/Rehabilitation beeinflussenden innere Konflikte, Probleme, Symptome, aber auch Grundeinstellungen, Lebensziele, gute Absichten und persönliche/berufliche Ressourcen können nicht als rational erfahrbare „Liste“ aller Akteure erfasst werden, sondern inszenieren sich im jeweiligen Setting interaktionell in den Beziehung der verbundenen  Menschen.

Der Beitrag der Fallsupervision liegt in der Berücksichtigung der Persönlichkeitsentwicklung der Klienten und deren Bedeutung für das aktuelle Verhalten der Klienten/Patienten. In der Supervision kann herausgearbeitet werden, dass Menschen beispielsweise dazu neigen, sich so zu verhalten, dass sich zwischenmenschliche Begegnungen oft nach einem ähnlichen Muster wiederholen, wie in Kindheit und Jugend und insoweit spezifische Beziehungsdynamiken erzeugen.  Entsprechend werden therapeutische, beratende und begleitende Personen ebenfalls durch diese „Brille“ gesehen und erlebt und bewirken entsprechende Konsequenzen für das Verhalten im Therapie-,Rehabilitations-, Beratungsprozess.

In der psychoanalytischen Auffassung liegen diesen Phänomenen Übertragungs- und Gegenübertragungsvorgänge zugrunde, deren „Verstehen“  erheblichen Einfluss auf die Handlungsmöglichkeiten einzelner Mitarbeiter*innen oder ganzer Teams hat. Ob therapeutische, beratende oder begleitend-stützende Prozesse gelingen, hängt nicht zuletzt davon ab, ob die professionellen Helfer diese Mechanismen erfassen und als dem Entwicklungsstand angemessenes  Handeln integrieren. Dabei geht es in der Fallsupervision keinesfalls darum, entwicklungsbedingte Konfliktkonstellationen „durchzuarbeiten“, sondern vielmehr besteht die Chance, in diesem Verständniszusammenhang eine entwicklungsfördernde, flexible Grundhaltung zu entwickeln, die den Betroffenen wiederum wachstumsfördernde  Beziehungserfahrungen und Zugang zu Ressourcen und Lösungen ermöglichen.

Fallsupervision kann hier einen Beitrag leisten, unbewusste Wiederholungen unverträglicher Beziehungserfahrungen zu erfassen, in die professionelle Beziehungsgestaltung zu integrieren und kontratherapeutische Aufträge zu vermeiden. Damit leistet sie auch einen Beitrag, therapeutische Fehler und für alle Beteiligten belastende Beziehungskonstellationen zu vermeiden. Fallsupervision ermöglicht einen mehrperspektivischen Reflexionsraum, der das Zusammenwirken von Team, Patienten/Betreuten,Konzept und Organisation  betrachtet und nach Lösungen für den  beruflichen Alltag sucht. Insoweit ist Fallsupervision implizit auch Teamsupervision.